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L Aufsichtspflicht

Bildungsauftrag der Tageseinrichtung für Kinder

Die Frage „Wie viel Aufsicht ist notwendig, lässt sich nicht allgemein beantworten. Es handelt sich letztlich um ein Bedingungsverhältnis, das in jeder Situation neu zu bestimmen ist:
„So viel Förderung wie möglich, soviel Aufsicht wie nötig“.

Pädagogische Fachkräfte in Tageseinrichtungen für Kinder haben einen Förderauftrag. Dieser beinhaltet, die Kinder in ihrer Obhut zu bilden, zu erziehen und zu betreuen und sie vor möglichem Schaden zu bewahren. Ziel der Förderung ist die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (§ 22 SGB VIII).

Bilden, erziehen und betreuen sind Bestandteile eines untrennbaren, ganzheitlichen Förderprozesses, der dazu dient, die begleitende, die unterstützende und die Aufsicht führende Funktion schrittweise zurückzunehmen in dem Maße, in dem das Kind an Kenntnissen, Kompetenz, Selbstsicherheit und Verantwortungsbewusstsein gewinnt. Seine Selbstkompetenz nimmt zu, je umfänglicher es seine Fähigkeiten entwickeln kann – im motorischen, sensorischen, sozialen, sprachlichen, kognitiven und kreativen Bereich.

Dabei muss das Maß der Aufsicht mit dem Erziehungsziel, die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zum selbständigen verantwortungsbewussten Handeln einzuüben, in Einklang gebracht werden. Diese erwünschte Persönlichkeitsentwicklung ist aber mit einer ständigen Überwachung nicht vereinbar; deshalb dürfen und müssen Kindern in Tageseinrichtungen im Rahmen einer verantwortlichen Erziehung auch Freiräume eingeräumt werden.

Übertragung der Aufsichtspflicht

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Das Recht und die Pflicht das Kind zu pflegen, zu erziehen und zu beaufsichtigen ist Inhalt des Personensorgerechts und liegt in der Regel bei den Eltern (§ 1631 BGB).

Die Aufsichtspflicht über das Kind kann aber auch Dritten übertragen werden. Bei der Aufnahme in die Tageseinrichtung übertragen die Erziehungsberechtigten durch einen Betreuungsvertrag mit dem Träger diesem zunächst die Aufsichtspflicht. Der Träger wiederum überträgt die Aufsichtspflicht als Bestandteil des Erziehungs- und Bildungsauftrages per Arbeitsvertrag auf sein Fachpersonal.

Regelungen zur Aufsichtspflicht sollten in der Konzeption der Einrichtung verankert sein. Eltern sollten bereits bei der Anmeldung des Kindes über die Regelungen informiert werden.

Aufsichtspflicht kann aber auch ohne Vertrag übertragen werden. Dieses ist bei „Gastkindern“ der Fall, wenn z. B. ehemalige Kita-Kinder nach der Schule die Einrichtung besuchen oder wenn Geschwisterkinder als Gäste für einige Stunden in der Kita verbleiben. Dazu gehören auch Kinder in der Eingewöhnungsphase, wenn sie offiziell noch nicht die Kita besuchen.

Ein besonderes Problem für das aufsichtführende Fachpersonal stellt sich häufig bei größeren Festen der Einrichtungen (z.B. Sommer – oder Martinsfest). Aufgrund der vielen Besucher und der Vielzahl an Aktivitäten ist es ratsam, die Eltern rechtzeitig vor dem Fest per Elternbrief oder Aushang darauf aufmerksam zu machen, dass auch sie während des Festes die Aufsichtspflicht über ihre Kinder haben und diese nicht ausschließlich vom Fachpersonal übernommen werden kann.

Aufsichtspersonen

Die Gesamtverantwortung liegt aufgrund des Arbeitsvertrages bei der Leitung der Einrichtung. Diese hat u.a. die Aufgabe, die Umsetzung der pädagogischen Arbeit und der entsprechenden Absprachen zu prüfen.

Die anderen pädagogischen Fachkräfte sind primär gegenüber den Kindern der ihnen zugeteilten Gruppe verantwortlich und aufsichtspflichtig. Eine genaue Abgrenzung ihrer Zuständigkeit und Aufsichtspflicht kann es aber nicht geben, denn bei konzeptionell offener Arbeit, gruppenübergreifenden Aktivitäten (z.B. Wanderungen) oder drohender Gefahr (z. B. im Außengelände) kann ein Einschreiten auch gegenüber Kindern einer anderen Gruppe notwendig werden. Sie haben daher eine Mitverantwortung für andere Spiel- und Aufenthaltsbereiche.


Bestimmte Aktivitäten (z.B. Schwimmen, Ausflüge) machen es erforderlich, weitere Personen zur Unterstützung heran zu ziehen. Die Leitung der Tageseinrichtung und die Fachkräfte können Eltern, Praktikanten oder andere Personen mit der Aufsicht beauftragen, vorausgesetzt, sie sind dazu geeignet und werden in erforderlichem Maß angeleitet, unterwiesen und kontrolliert. Folgende Faktoren sollten dabei berücksichtigt werden:

  • Zuverlässigkeit der betreffenden Person
  • Kenntnis der Gruppe und Einschätzung des Verhaltens der Kinder
  • Bereitschaft zur Kooperation mit den pädagogischen Fachkräften
  • Vorhandene Erfahrungen im Umgang mit Kindern

Strukturen, Anleitungen und eine angemessene Kontrolle schaffen Klarheit für alle Beteiligten. Die Gesamtverantwortung verbleibt bei den zuständigen Fachkräften.

Beginn und Ende der Aufsichtspflicht

Grundsätzlich beginnt die Aufsichtspflicht bei Ankunft des Kindes zu Beginn der Öffnungszeit mit der Übergabe des Kindes in die Obhut der pädagogischen Fachkraft. Die Aufsichtspflicht des Personals endet dann, wenn das Kind am Ende der Öffnungszeit von der pädagogischen Fachkraft an die Abholberechtigten übergeben wird und die Einrichtung wieder verlässt. Auf den Wegen zwischen der Tageseinrichtung und dem häuslichen Bereich sind die Eltern aufsichtspflichtig.

Das Personal hat die Verpflichtung, das Kind in die Aufsicht der Erziehungsberechtigten zu übergeben oder an von ihnen benannte autorisierte Personen. Umgekehrt sollte das Kind von den Eltern morgens an den betreffenden Mitarbeitenden übergeben werden. Holen die Eltern ihr Kind nicht ab, sind die Mitarbeitenden der Einrichtung verpflichtet, ggf. auch auf spät kommende Eltern zu warten, anzurufen oder zu veranlassen, dass eine andere berechtigte Person das Kind abholt.

Wenn sich Eltern nicht an Vereinbarungen und Regeln halten, ist ein klärendes Gespräch notwendig.

Eltern obliegt das Personensorgerecht und daher können sie – wenn nichts Anderes vertraglich festgelegt ist – auch veranlassen, dass ihr Kind den Heimweg alleine zurücklegt. Es ist nicht Aufgabe des pädagogischen Personals diese Entscheidung zu überprüfen. Sollte seitens der Mitarbeitenden wegen der Gefährlichkeit des Weges Bedenken bestehen, darf das Kind nicht in eine Gefahrensituation entlassen werden. Ein Gespräch mit den Eltern führt in der Regel zu einer Klärung.

Übernimmt der Träger einer Tageseinrichtung z.B. in ländlichen Gebieten die Beförderung der Kinder mit Behinderung oder Einschränkung mit einem Zubringerdienst in eine integrative oder heilpädagogische Tageseinrichtung, so beginnt die Aufsichtspflicht bereits beim Besteigen des Busses. Die Wahrnehmung der Aufsichtspflicht kann durch eine Busbegleitung erfolgen, die der Busunternehmer stellt. Für den Weg von und zur Haltestelle sind dann die Eltern verantwortlich.

Inhalt der Aufsichtspflicht

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Hauptaufgabe der Tageseinrichtung ist die Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder und nicht die Beaufsichtigung. Daher richten sich Art und Umfang der Aufsicht nach dem Bildungs- und Erziehungsauftrag. Aus diesem Grund gibt es auch keine festgelegten Rezepte, wie und in welchem Umfang sie ausgeübt werden muss.
Kinder, insbesondere Kleinkinder, lernen im starken Maße über Bewegung. Die Angst vor Unfällen darf daher auf keinen Fall zum Anlass genommen werden, das Bewegungsbedürfnis der Kinder einzuschränken. Sicherheit und Risiko schließen sich nicht aus. Mit wachsender Selbständigkeit suchen Kinder neue Herausforderungen und gehen auch riskante Situationen ein. Unterstützt werden sie hierbei von geduldigen und Mut machenden Erwachsenen, die nur eingreifen, wenn Gefahr droht.

Kleine Risiken müssen von den Kindern selbst erlebbar und erlernbar sein, damit werden sie beherrschbar und einschätzbar. Ein überschaubares Risiko im Spiel der Kinder muss daher ermöglicht werden. Damit erwerben sie zunehmend Autonomie und Kompetenz.


Das Maß der gebotenen Aufsicht ist immer situationsbezogen und abhängig von den Umständen des Einzelfalles. Im Folgenden werden die Faktoren näher erläutert, die Inhalt und Umfang der Aufsichtspflicht bestimmen. Diese sind:

  • Person des Kindes:
    In der Regel bedürfen jüngere Kinder einer intensiveren Beaufsichtigung als ältere Kinder, da sie noch nicht über deren Erfahrungen verfügen. Unter dreijährige Kinder dürfen nicht alleine draußen spielen, während es bei Kindern mit mehrjähriger Kita-Erfahrung im Rahmen der Selbstständigkeitsförderung in Absprache mit der Fachkraft erwünscht ist. *¹
  • Gruppenverhalten:
    Gruppen von Kindern sind anders zu beaufsichtigen als einzelne Kinder, da Gruppen eine eigene Dynamik haben. Insofern sind Kenntnisse und Erfahrungen bei der Einschätzung gruppendynamischer Prozesse und ihren Auswirkungen auf das Verhalten der Kinder in der Gruppe erforderlich und für den pädagogischen Alltag wichtig.
  • Gefährlichkeit der Beschäftigung:
    Pädagogisches Fachpersonal, das mit Kindern Aktivitäten plant, muss immer die Gefährlichkeit der Tätigkeit einschätzen und das Handeln danach ausrichten. Mit einer Gruppe von Kindern z. B. Pflaumen mit einem Küchenmesser zu entsteinen, erfordert eine intensive Begleitung und Beaufsichtigung, bis die Kinder darin geübt sind, mit dem Messer umzugehen.
  • Örtliche Bedingungen:
    Ausflüge, Wanderungen und Besichtigungen in einer fremden Stadt sind anders zu beaufsichtigen als Spiele in einer gewohnten Umgebung. Klare Regeln und Absprachen mit den Kindern sind hier z.T. genau so notwendig wie vorherige Erkundungsgänge der Mitarbeitenden.
  • Gruppengröße:
    Obwohl solche Fragen immer wieder gestellt werden, gibt es keine generelle Antwort darauf, wie bei bestimmten Aktivitäten die Relation zwischen der Anzahl der Mitarbeiter und der Anzahl der Kinder ist. Die Relation ergibt sich in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand und Eigenart der Kinder, der Gefährlichkeit der Beschäftigung und den Fähigkeiten und Erfahrungen des pädagogischen Personals.

 *¹ Daher muss die Aufsichtspflicht dem jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes angemessen sein.

Zumutbarkeit

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Nicht alles, was an Aufsichtsmaßnahmen denkbar ist, ist auch zumutbar – sowohl unter Berücksichtigung der Erziehung der Kinder zur Selbständigkeit als auch mit Blick auf die Leistbarkeit durch die Fachkraft.

Ein Beispiel aus der Praxis soll dies verdeutlichen. Eine kleine Gruppe von Kindern spielt im Flur, der Großteil im Gruppenraum. Nun kann man sicherlich von der Fachkraft nicht erwarten, dass sie die Kinder im Flur und im Gruppenraum auf Schritt und Tritt beobachtet. Es ist jedoch zumutbar, dass sie die Spielsituationen zeitweilig beobachtet und ggf. eingreift und in regelmäßigen Abständen nachsieht, ob die Kinder die abgesprochenen Regeln auch einhalten.

Ein weiteres Beispiel finden Sie im Schlafen und Ruhen

Zumutbarkeitsfragen stellen sich auch in folgenden Fällen:

  • Aufgrund von Personalmangel werden Gruppen zusammengelegt und zwei Fachkräfte mit der Aufsicht über 40 Kinder betraut. Dies ist sicherlich in Ausnahmefällen möglich, auf Dauer aber nicht zumutbar. Hier muss der Träger eine andere Lösung finden.
  • Die Einfriedung eines Außengeländes ist an einer Stelle beschädigt, Kinder könnten das Außengelände unbemerkt verlassen. In diesem Fall muss der Träger im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht die defekte Einfriedung reparieren bzw. erneuern. Eine Lösung des Problems durch erhöhte Aufsichtsführung ist auf Dauer nicht zumutbar; technische Mängel müssen mit technischen Maßnahmen behoben werden.
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